Mittwoch, 4. Oktober 2017
Aus 6 mach 5
Gestern Abend um 19.00 Uhr den Anruf erhalten. Und wieder musste ich schnell einen Stuhl finden und mich setzen: das Tumörchen war nicht 6 Millimeter, es war 5 Centimeter groß! Und natürlich hat der Chirurg nicht alles erwischt, er hatte ja selber nicht mit dem Aussmass gerechnet. Zurück zum Start!

Diesmal wird es keine Gefangenen geben. Der Chirurg versuchte auch gar nicht mir Alternativen nahezulegen. Er fühlte sich - soweit man das am Telefon überhaupt interpretieren kann - unwohl, schließlich hatte er mich ja zu der Lumpektomie überredet. Er konnte sich sehr wohl an unser Erstgespräch erinnern, wo ich von der bilateralen Mastektomie sprach.

Formales persönliches Gespräch am 16. Oktober und Operationen am 18. Oktober. Ick freu mir. Nicht.



Montag, 2. Oktober 2017
Detour
Derweil ich auf den Befund warte, spiele ich noch ein wenig mit meinen Tieren

http://www.dromedare.com



Samstag, 30. September 2017
Doomsday (2)
Zurück auf der Station begann nun das lange Warten. Es war schön draußen, also ging ich noch ein wenig spazieren, konnte aber nur an eines denken: ESSEN. Ich war ja schon um 03.00 Uhr aufgestanden und hatte ein kleines Frühstück zu mir genommen. Die hook wire Geschichte war gegen 10.00 Uhr erledigt und bis zur Operation waren es noch gut sechs Stunden. Mein Magen grummelte, aber essen und trinken waren nicht erlaubt. Ein Tag kann so lang werden!

Gegen 15.00 Uhr tauchte ein Krankenpfleger auf der meine betagte Nachbarin in den Op bringen sollte. Sie hatte einen ähnlichen Eingriff wie ich vor sich, war aber in keiner Weise vorbereitet. Eine Schwester half der alten Dame hektisch aus den Klamotten und in das bereitliegende Op-Gewand, zum überstreifen der Stützstrümpfe blieb keine Zeit mehr. Ich war als nächstes dran, zwar erst in einer Stunde, aber ich sollte mich doch möglichst bald umziehen, um ein ähnlich überstürztes Vorgehen zu vermeiden.

Nachdem ich in meinem Bett vom Krankenpfleger in den Op-Vorbereitungsraum geschoben worden war, tauchte kurz der Chirurg auf und wollte wissen, ob ich noch Fragen hätte. Ich erzählte von meinem Blutbad in der Früh, aber er schien unbeeindruckt. Genug Gewebe soll er entfernen, nur nicht sparen, am besten Weg mit der Brust. Er lachte nur.

Dann war es so weit. Das Bett wurde bis vor den Op geschoben, ich musste aufstehen und mich auf den Op-Tisch legen. Es kam mir vor wie auf der Pathologie. Im weißen Totenhemd auf dem flachen Metalltisch, bestrahlt von einer riesigen Lampe. Jetzt werde ich seziert und komme dann in ein Kühlfach. Was für Gedanken.
Der Anästhesist erschien und versuchte eine Kanüle zu legen. Im rechten Arm klappt das nie. Obwohl Blut kam, war er nicht richtig drin: ich spürte, wie er mit Kochsalzlösung nachspülte. Er wird mir einen anderen Zugang legen, wenn ich schlafe sagte er. Ich sah, wie er das milchige Narkosemittel einspritzte – er fragt mich nach meinem Namen und Geburtsdatum - … das war's. Weg war ich. Einfach weg.

AUFHÖREN! Bitte aufhören! Ich wand mich wie ein Aal und die Tränen rannen. Es tut so weh, so verdammt weh. Was habe ich gemacht, dass es so weh tun muss? Jemand hat ein scharfes Messer in der Hand und schneidet mir scheibchenweise die linke Brustwarze ab. Was soll ich machen? Ich kann nicht schreien. Oder soll ich es versuchen? Ich zitterte und heulte wie ein Schlosshund.

Endlich wurde eine Schwester auf mich aufmerksam. Offensichtlich habe ich Schmerzen, meinte sie und holte Verstärkung. Es wird gleich besser, wurde mir versichert und eine ordentliche Portion Fentanyl rann durch meine Vene. Ich spürte die Erleichterung. Alles ist gut. Das Messer hat aufgehört zu bohren und zu schneiden. Nichts tut mehr weh.

Die Nacht war unruhig. Jedesmal, wenn ich glaubte in Morpheus Armen zu liegen kam eine Schwester und maß Temperatur und Blutdruck. Aber auch das ging vorbei und gegen 05.00 Uhr war ich hellwach. Ich bin Frühaufsteher und die innere Uhr teilte mir mit, es sei Zeit aufzustehen. Zähneputzen, aufs Frühstück und den Arzt warten - dann war es soweit: ich konnte gehen. Der Chirurg will mich anrufen, wenn der Endbefund von der Pathologie eingetroffen ist. Alle Daumen gedrückt, dass wirklich alles veränderte Gewebe entfernt wurde.



Freitag, 29. September 2017
Doomsday (1)
Soll ich ein Taxi nehmen oder nicht? Es ist 06.45 Uhr und um 07.00 Uhr soll ich an der Rezeption sein. Einmal quer durch die Stadt – von der North zur South Terrace laufen (2,9 km) wird sicher mehr als 30 min dauern! Egal, komm ich halt zu spät - sie können eh nicht ohne mich anfangen. Ich packte meinen kleinen Rucksack auf den Rücken und marschierte Richtung Süden.
Als ich ankam, brauchte es noch eine Weile bis ich aufgerufen wurde. Es war viel los, Montag morgen eben. Irgendwann war es doch geschafft. Hatte den 500 - Dollar - Selbstbehalt per Kreditkarte bezahlt, ein fesches, nicht abnehmbares Armband mit meinen persönlichen Daten umgelegt bekommen und wurde von einer jungen Frau in den 3. Stock des Krankenhauses geführt. Zimmer 05 war jetzt meines, allerdings mit einer anderen Patientin zu teilen. Eine Krankenschwester tauchte auf und informierte mich über den weiteren Ablauf.
Nicht lange und ein junger Mann führte mich in ein anderes Gebäude, gegenüber des Krankenhauses. Ein Röntgeninstitut in dem die Tortur beginnen sollte. Zunächst ganz harmlos: auf einer Liege in Rückenlage, suchte eine Angestellte mit der Ultraschallsonde nach dem Stückchen Metall, dass an die Stelle verbracht wurde, wo ich die Stanzbiopsie hatte. Offensichtlich wurde sie fündig, stand auf und suchte die diensthabende Ärztin. Zusammen versuchten sie den besten Winkel zu finden, um ein Stück Draht einzuführen. Ein „hook wire“ sollte platziert werden, um dem Chirurgen den rechten Weg Richtung Tumor zu weisen. Die Lokalanästhesie – wie gehabt zunächst oberflächlich, dann eine zweite in die Tiefe – war schon nicht angenehm, aber das herumbohren mit dem Draht ließ mich leicht an die Decke gehen. Haben die nur Kochsalzlösung gespritzt? Und sie bohrte und fummelte, war aber nicht in der Lage durch das Gewebe zu dringen. Plan B wurde besprochen und ich in den Röntgenraum verbracht. Wie gehabt wurde die Brust eingequetscht, eine neue Lokalanästhesie in einem anderen Winkel gesetzt. Und erneutes bohren und fummeln und probieren, um den Führdraht einzubringen. Röntgenkontrollen, ein wenig nachbessern, zwischendurch verschwanden die handelnden Personen. Es tropfte an meinem Oberkörper entlang. Komisch, mir ist zwar warm, aber richtig schwitzen tue ich nicht, wieso tropft es? Da kapierte ich: Blut tropfte. Recht fleißig. Ich stand noch immer mit eingequetschter Brust, die Damen wollten einen Tupfer auflegen, mussten aber feststellen, dass die Packung schon leer war. Was für Dilettanten. So ein unprofessionelles Vorgehen wie hier, habe ich schon lange nicht erlebt. Auch das sich die Ärztin ständig bei den Mitarbeitern rückversichern musste, als wüsste sie nicht, was als nächstes zu tun wäre. Ich war kurz davor das Handtuch zu schmeißen. Sie sollten mich aus der sprichwörtlich beklemmenden Lage befreien und ich gehe heim. Mir reicht es. Mir tat die Brust höllisch weh – ein Hund muss nicht so leiden! Warum kann man mir nicht eine Kurznarkose verabreichen, warum muss ich alles live und in Farbe miterleben? Ich war angepisst.
20 Minuten dauerte es, bis die Blutung stoppte. Das wurde zwar als ungewöhnlich zur Kenntnis genommen, unternommen wurde aber nichts. Merkwürdig, dass vor einem chirurgischen Eingriff keine Blutuntersuchung erfolgte! Auch kein Lungenröntgen – ich sehe gesund aus, also ist eine Hämatologie wohl nicht nötig.



Donnerstag, 21. September 2017
Money, money, money
Gestern einen Anruf von der Klinik erhalten nicht zu vergessen, bei meiner Aufnahme am Montag $ 500.- mitzubringen. Obwohl ich neben medicare noch eine Privatversicherung habe, bleibt mir es nicht erspart den Selbstbehalt hinzublättern. Und zwar im voraus, sonst werde ich gar nicht erst aufgenommen.
Heute eine Nachricht am Anrufbeantworter, ich möge die und die Nummer der Anästhesiologie anrufen. Siehe da, die wollen auch Kohle. Die können es gar nicht erwarten, abzucashen. Gleich per Kreditkarte am Telefon: $ 220.-
Auch der Chirurg hat im voraus kassiert: $ 300.- (neben den $ 180.- der Erstuntersuchung). Das muss ja eine ganz tolle Operation werden. Hoffentlich ist jetzt mal Schluss.



Dienstag, 19. September 2017
Fließen lassen
Heute Nacht fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Mein Hirn ist für mein jetziges Leben falsch gepolt. Es sollte anders arbeiten und genau genommen bin ich schon auf dem richtigen Weg!
Fast 30 Jahre wurde ich in meinem Beruf gezwungen, möglichst gleich und sofort Entscheidungen zu fällen und Wege zu finden, diese in die Tat umzusetzen. Wenn mich Tierbesitzer aufsuchen, dann wollen sie wissen, was ihrem Liebling fehlt. Wie man ihm helfen kann, wieder gesund zu werden. Mir wurde ein Patient auf den Tisch gestellt und ich musste gezielt Fragen zur Vorgeschichte stellen, durfte mich nicht von der Eigendiagnostik der Besitzer ablenken lassen. Musste Möglichkeiten der Behandlung auflisten, finanzielle Machbarkeit erwägen, weitere Untersuchungen vorschlagen, Prognosen erstellen. Alles innerhalb von ca. 10 Minuten.
Das prägt, ich habe nur nicht realisiert wie sehr! Jetzt lebe ich als Pensionist und muss mich einem neuen Rhythmus unterordnen. Da ich das nicht begriffen habe, war ich in den letzten sieben Jahren sehr oft der Verzweiflung nahe. War sehr häufig überfordert und wusste nicht weiter. Dabei brauche ich nur zurückschrauben.... Ich muss nicht 2.000 Pflanzen auf 8,5 Hektar in 2 Monaten pflanzen. Es sind halt vier Jahre geworden und eigentlich war auch das einfach zu viel. Die Hälfte hätte es auch getan....
Jetzt, mit der Krebsdiagnose, bin ich schon wieder in die alte Gewohnheit zurückgefallen. Alles recherchiert, abgewägt, wie mache ich was und wann. Blödsinn. Wie sagte neulich eine Bekannte zu mir: "Go with the flow". Hätte ich das Gespräch mit dem Chirurgen abgewartet und dann Maßnahmen ergriffen, hätte ich mir schlaflose Nächte erspart und wäre anderen nicht auf die Nerven gegangen.
Langsam machen, es treibt mich nichts, "one step at the time". Das soll mein neues Motto werden.
Der Familie, der ich Teddy bringen wollte, habe ich abgesagt. Erstens ist 04.45 Uhr unmenschlich, zweitens weiß ich ja nicht ob ich den Nerv habe, ihn am Tag nach der Operation zu versorgen. Vielleicht will ich einfach nur ins Bett und ausschlafen. Also bringe ich ihn am Sonntag in die Hundepension und hole ihn ab, wenn ich wieder fit bin. Auch wäre es nicht erforderlich gewesen, Aileen um die Versorgung der anderen Tiere zu bitten. Die werden schon nicht innerhalb von 24h verhungern.
Langsam machen, abwarten, mal schauen wie's wird, keine übertriebene Hektik. Daran werde ich arbeiten.



Sonntag, 17. September 2017
Feige!
Der Chirurg brauchte nicht viel, um mich von der Mastektomie abzubringen. Ausgiebige Internetrecherchen, youtube videos und Erfahrungsberichte der Nachbarin haben mich zu einem Nervenwrack werden lassen. Schmerzen ohne Ende, Komplikationen, Immobilität - vor meinem geistigen Auge spielten sich Horrorszenarien ab.
Er hörte meinen Wunsch, besah sich auch den Befund meiner Mutter, meinte dann, eine Amputation wäre bei mir absolut nicht erforderlich. Der Tumor ist so klein, dass noch nicht einmal eine Bestrahlung im Anschluss an die Operation nötig wäre. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Situation noch einmal durchmachen muss, ist nicht sehr hoch. Das veränderte Gewebe bis ins Gesunde ausschneiden, resorbierbare Nähte, waterproof dressing und am nächsten Tag wieder Heim. Wer kann da schon widerstehen? Vor Erleichterung musste ich sogar kurz plärren, was bin ich doch für eine Memme! Also Lumpektomie am 25.09..
Zuerst wird in Lokalanästhesie unter röntgenologischer Kontrolle ein Draht bis zu dem tumorösen Gewebe vorgeschoben, dann die eigentliche Op in Vollnarkose. Ich muss um 07.00 Uhr im Krankenhaus sein, um 08.30 Uhr wird mir der Draht verpasst und um 15.00 Uhr erfolgt der Eingriff. Entlassung ist am Dienstag zwischen 08.30 Uhr und 10.00 Uhr.
Bezüglich Logistik treten ebenfalls Erleichterungen auf: Teddy liefere ich am Montag Morgen auf meinem Weg bei einer Familie ab, bei der er schon öfters zu Gast war. Somit erspar ich mir die Fahrerei in die Hundepension. Die Ärmsten müssen halt früh aus dem Bett, ich werde gegen 04.45 Uhr dort sein. Das Auto lasse ich für die eine Nacht auf einem Parkplatz stehen und dann fahre ich mit der Metro in die Stadt. Vom Bahnhof in Adelaide mit dem Taxi ins Krankenhaus.